Mein Auslandspraktikum in Neuseeland

Während des dualen Studiums zum Bachelor of Laws drei Monate im Ausland leben und arbeiten? – Das geht! Meinen dritten Praxisabschnitt habe ich auf der anderen Seite der Welt, in Neuseeland, verbracht.

Aufgenommen hat mich das Auckland Community Law Centre (ACLC). Es trägt nicht nur den Namen „Recht für die Gemeinschaft“, sondern es wird hier gelebt. Beim ACLC bekommt jede Bürgerin und jeder Bürger kostenlose Rechtsberatung, die bzw. der keinen Anwalt bezahlen kann. Im Gegensatz zu einer kommerziellen Anwaltskanzlei wird hier jedoch nur beraten und es gleicht dem Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“. Hauptaufgabe ist es, die Fälle der Bürger/innen aufzuarbeiten und einen rechtlichen Rat (meistens per Email) zu erteilen. In Härtefällen werden die Klientinnen und Klienten auch vor dem Gericht vertreten. Eine weitere Aufgabe besteht darin, Schulungen in Form von rechtlichen Vorträge an Interessierte zu geben, beispielsweise über Bevollmächtigungen und Testamente. Insgesamt hat das ACLC mit einem Team von fünf Anwälten im vergangenen Finanzjahr 2901 Klientinnen und Klienten gehabt und 63 Schulungen abgehalten.

Das Konzept des Community Law Centres (CLC) ist in Neuseeland weit verbreitet und mit insgesamt 24 CLC sind alle Regionen Neuseelands abgedeckt. Sie arbeiten als gemeinnützige Gesellschaft und werden von dem Justizministerium finanziert. Trotzdem ist jedes der CLC eigenständig in ihren Finanzierungsverträgen und auch in den Rechtsgebieten, in denen sie Hilfe anbieten. Auckland bietet Rechtshilfe bei Streitigkeiten in folgenden Themengebieten: Arbeitsverhältnis, Miet- und Wohnungsverhältnissen, Familie und Immigration.

In Folge dessen ist es nicht verwunderlich, dass meine Arbeit dort sehr vielfältig war. In meiner alltäglichen Arbeit durfte ich den gesamten Prozess mit den Klientinnen und Klienten begleiten. Ich durfte an vielen Klientengesprächen teilnehmen und Notizen machen. Oft bin ich auch mit den Anwälten in die Außenstellen gefahren, wo wohnortsnahe Klientengespräche durchgeführt wurden. Zudem habe ich rechtliche Problematiken recherchiert und schließlich auch die rechtlichen Räte formuliert. Beispielsweise hatte ich den Fall eines Klienten, der in seiner zweiten Woche nach Einstellung in einer Klempnerfirma einen Arbeitsunfall hatte und daraufhin gekündigt wurde. Ihm wurde noch keine Arbeitskleidung ausgehändigt und hatte keinen Kollegen zur Sicherung dabei. Meine Aufgabe bestand zuerst in der Recherche zu einer ungerechtfertigten Kündigung und zum unsicheren Arbeitsplatz, der gegen den Arbeitsvertrag und das „Health and Safety“-Gesetz verstößt. Danach durfte ich den rechtlichen Rat verfassen. Dies war ein gewöhnlicher Fall, extremere Fälle reichten von Kindergeldbetrug, über Arbeitnehmerausbeutung bis hin zur familiären Gewalt.

Häufig hatte das ACLC auch mit dem Thema Obdachlosigkeit zu tun. Ich durfte an zwei Terminen des sogenannten „New Beginning Court“ teilnehmen. Dies ist ein spezielles Gerichtsprogramm für obdachlose Menschen in Auckland. Es werden bei entsprechendem persönlichen Engagement und Interaktion mit Sozialarbeitern Straftaten fallen gelassen und den Menschen bei der Wohnungssuche geholfen. So wird den Obdachlosen ein neuer Anfang ermöglicht.

Um einmal einen Einblick in Fälle der Maoris (die Ureinwohner Neuseelands) zu erlangen, durfte ich für eine Woche das CLC in Rotorua besuchen. Hier wurden vor allem Fälle mit Testamenten oder Maori-Land-Konflikte bearbeitet. Die Besonderheit ist, dass die Maoris ihr eigenes Gewohnheitsrecht haben („Tikanga Maori Law“) und somit auch eine einzigartige Stellung im Neuseeländischen Rechtssystem einnehmen. Die Maoris haben viel gemeinschaftliches Eigentum, was mit folgendem Beispiel verständlich wird: Nach dem neuseeländischen Gesetz wird das Sorgerecht eines Kindes zuerst gleichmäßig auf die Eltern aufgeteilt, dann auf verbleibende Familienmitglieder und schließlich würde das Sorgerecht auf ein Heim übergehen. Nach dem Tikanga-Recht würde das Sorgerecht eines Kindes, nachdem die Eltern verstorben sind, auf den ganzen Stamm gemeinschaftlich aufgeteilt werden. Die verschiedenen Stämme haben sogar unterschiedliche Regelungen. Diese Entwicklung des Tikanga-Rechts in Wechselwirkung mit dem neuseeländischen Fall-Recht ist noch jung und es gibt noch viele Unklarheiten. Aber gerade auch dieser Gegensatz zum deutschen Zivilrecht hat Neuseeland zu einem besonders spannenden Auslandsmodul gemacht.

Ich hatte während meiner Arbeitszeit immer ganz unterschiedliche Aufgaben und durch ein sehr herzliches und nettes Team ging meine Zeit in Auckland wie im Flug vorbei. Mein größtes Highlight war aber trotzdem die anschließende Reisezeit, die ich für einen Roadtrip auf der Nord- und Südinsel genutzt habe.

Finja Amshoff